NAZI~LINE: PRESS RELEASES Pressemittteilung vom 18.3.2001 zum Theatertreffen-Hamlet: Ê Hamlet-Einladung zum Theatertreffen erzwingt Vorstellungsaussfall an der VolksbŸhne Jetzt ist es amtlich. Der ganze ZŸrcher "Hamlet" von Christoph Schlingensief kommt zum 38. Theatertreffen nach Berlin. UrsprŸnglich hatte die Jury und die Bundeszentrale fŸr Politische Bildung nur den einen, politisch brisant erscheinenden Teil, nŠmlich das "Rechtsradikalen-AussteigerprojektÊeingeladen. Aber nach der umstrittenen Premiere, die in der deutschen, schweizerischen und šsterreichischen Presse gleicherma§en zu Ÿberschwenglichem Jubel wie zu vernichtenden Verrissen Anla§ gab, haben sich die Bundezentrale fŸr Politische Bildung und die Leitung des Theatertreffens entschieden, die komplette Produktion einzuladen. Dadurch wurde es mšglich, da§ nicht nur die an dieser Inszenierung beteiligten Aussteiger aus der deutschen Neonaziszene zum Theatertreffen dŸrfen, sondern auch die Schauspielerinnen und Schauspieler aus der Schweiz, die in den letzten Wochen tŠglich mit ihnen konfrontiert waren. Durch die schnelle und unbŸrokratische VerstŠndigung zwischen dem Schauspielhaus ZŸrich und der VolksbŸhne ist es mšglich geworden nun beim Theatertreffen zwšlf Tage nach der Premiere in ZŸrich auch in Berlin einen umfassenden Eindruck von dem zu bekommen, was in ZŸrich seit Wochen StadtgesprŠch ist. Niemals sei ein TheaterstŸck in der Stadt mit grš§erem Interesse aufgenommen worden als dieses, hie§ es in der Presse, die Schlingensief mit Diogenes, Till Eulenspiegel und Pirandello verglich. Schlingensief hat als "Hamlet" der Stadt den Spiegel vorgehalten, die sich prompt als "DŠnemark" erwies und gleichzeitig auf der BŸhne eine vielschichtige Auseinandersetzung mit dem Theater und seiner Geschichte inszeniert, die so undurchschaubar faszinierend und rŠtselhaft ist, wie sie im "Hamlet" steht. Die Inszenierung scheint sich als die "Mausefalle" erwiesen zu haben, auf die hin Shakespeare dieses StŸck konzipiert hat. Es spielen: Hamlet - Sebastian Rudolph, Claudius - Peter Kern, Gertrud - Irm Hermann, Polonius - Michael Gempart, Laertes - Artur Albrecht, Ophelia - Bibiana Beglau, Horatio - Kalle Mews, Fortinbras - Christoph Schlingensief, Leiter der Schauspieltruppe - Peter Brombacher, Kšnigin im Schauspiel - Stefan Kolosko, Familie des Laertes - Ursula Albrecht, Jurij Albrecht, Nikolaij Albrecht. Schauspieler: Markus B., Melanie, Dittmer, JŸrgen Drenhaus, Tim H., Martin Kohlmann, Torsten Lemmer, Jan Zobel. Ê Anschlie§end an die Vorstellung, die um 21.45 auf der Gro§en BŸhne beginnt und SpielfilmlŠnge nicht Ÿberschreitet, gibt es ein 20minŸtige Film-Dokumentation der ZŸricher Ereignisse im Sternfoyer der VolksbŸhne und ein GesprŠch mit den Beteiligten und Vertretern der Bundeszentrale fŸr politische Bildung, zu der auch Organisatoren des Aussteigerprojekts der Bundesregierung und des Innenministeriums, Kritiker und Vertreter privater Projekte eingeladen sind. Das Bundesinnenministerium, von dem Schlingensief die Idee eines "Rechtsradikalen-Aussteigerprojekts" "geklaut" hat, hat bedauerlicherweise schon abgesagt. Ê Die ursprŸnglich fŸr diesen Abend um 20 Uhr angesetzte und bereits ausverkaufte AuffŸhrung von Frank Castorfs "Trainspotting"- Inszenierung mu§ deshalb ausfallen. Die Karten werden zurŸckgenommen oder eingetauscht. Die Bustour am 23. 5. um 11 Uhr mit unbekannten Ziel startet wie geplant vor der VolksbŸhne. Ê Zum Schlu§ dieser eh schon etwas lang geratenen Mitteilung, wollen wir Ihnen nicht vorenthalten, wasÊ der langjŠhrige VolksbŸhnen- und Schlingensief-Dramaturg Carl Hegemann, den wir fŸr diese Produktion nach ZŸrich "ausgeliehen" hatten, fŸr SchlŸsse aus seinen dortigen Erfahrungen gezogen hat: "Der revolutionŠre Dichter Bertolt Brecht soll, wie Walter Benjamin berichtet hat, auf die Frage, was ihm wichtiger sei, die VerŠnderung der Welt oder das Theater, nach kurzem Zšgern geantwortet haben: das Theater. Christoph Schlingensief scheint nunÊ auch zu einer solchen Einsicht gelangt zu sein. Waren bisher seine Inszenierungen im Theater eher flankierende Ma§nahmen zu seinen politischen Aktionen, so ist bei seiner ZŸrcher Hamlet-Inszenierung alles anders geworden.Ê "Hamlet" hat ihnÊ verwandelt. Alles was er dieser Stadt in den letzten Wochen angetan hat, resultiert aus nichts anderem als dem Versuch,Ê diesem WerkÊ Shakespeares, das vielleicht das wichtigste der gesamten Theaterliteratur ist, die Bedeutung zurŸckzugeben, die es einmal gehabt hat und die ihm vielleicht heute erst rechtÊ angemessen ist. DafŸr hat er sichÊ bei seinen Aktionen in der Stadt mit einem Hamlethaften Wahnsinn ausgestattet und gleichzeitig jeden Tag viele Stunden dizipliniert geprobt. Seine Aktionen gegen Parteien, Sportvereine und das Theater, bei dem er zu Gast ist, seine gefŠhrlichen Neonazistrategien sind aus der im "Hamlet" steckenden Verzweiflung geboren, in die sich Schlingensief hineinsteigert, die er Ÿberbieten und damit Ÿberwinden will. Nicht mehr die Welt steht im Mittelpunkt sondern ihr "Spiegel": das Theater. Schlingensiefs Kollege, der Theaterregisseur Einar Schleef hat schon vor Jahren die Behauptung aufgestellt, es gŠbe kein Leben au§erhalb seiner Inszenierungen. Man kšnnte meinen, auch Schlingensief sei nun zu dieser fŸr NichtkŸnstler schwer nachvollziehbaren Einsicht gelangt. Oder sogar noch Ÿber sie hinaus: Imitation ofÊ imitation ofÊ imitation ...of life.... Ê