Alles spricht von Provokation. Aber niemand sagt,
wer die wahren Provokateure sind: Zürichs Kulturverwalter.
Christoph Schlingensief ein Provokateur? Weil er mit seinem «Hamlet»
aus dem Musentempel auf die Strasse ausbrach und mit der theatralischen
Forderung für Aufruhr sorgte, SVP und ZSC seien zu verbieten? Aber
nicht doch. Die Stadtzürcher SVP eine Provokateurin, weil sie sich
nicht entblödete, dem Schauspielhaus aus Rache die Subventionen streichen
zu wollen? Nein. Die wirkliche Provokation im Theater ums Theater leistete
sich Zürichs Kulturchef Jean-Pierre Hoby. «Von jedem Franken,
den das Schauspielhaus ausgibt, kommen drei Viertel von den Steuerzahlern»,
sagte er auf Radio DRS. «Man ist abhängig davon, dass diese
Subventionen auf dem politischen Weg gesprochen werden. Da hat es doch
gar keinen Sinn, dass man diese Leute von vornherein verärgert.»
Habe ich mich verhört, Herr Hoby? Deutschen wir mal aus: Wer Kunst
macht, unterwerfe sich in vorauseilendem Gehorsam dem Gedankengut der
SVP, denn es gibt kein Geld mehr, wenn man die bürgerliche Mehrheit
verärgert. Aber was, bitte, soll Theater, wenn nicht just dies: die
Mehrheit ärgern, die Herrschenden kitzeln, die Verhältnisse
in Frage stellen?
Wer eine Kunst fordert, die der Obrigkeit den Schmus bringt, pflegt das
Kulturverständnis absolutistischer Regimes. Scheint ganz, als ducke
sich Jean-Pierre Hoby vor dem Gesinnungs-Diktat der Sonnenkönigin
SVP. Dabei richtet deren Chef-Provokateur, Christoph Blocher, FACTS ganz
gelassen aus: «Jeder darf in einem freien Staat verlangen, dass
eine Partei verboten wird. Ich staune nur, wie schnell man das dann zur
Kultur erklärt.»
Doch, genau das ist Kultur.
Man kann Schlingensief vorwerfen, er spanne sämtliche Medien für
seine PR-Zwecke ein, er sei ein berechnender Schlaumeier, er habe seine
Aktion generalstabsmässig geplant. Eines aber kann man ihm nicht
vorwerfen: sein Theater sei weltfremd. Schlingensief greift mit seinem
Theater in die Wirklichkeit ein. Wie seit zwölf Jahren niemand mehr.
Damals bewegte Max Frisch mit seinem Stück zur Armeeabschaffung das
Land. Heute spricht Schlingensief aus, dass die ZSC-Gewaltigen Walter
Frey und Simon Schenk, beide SVP, zu wenig gegen die rechtsextremen Hooligans
unternehmen. Geistreich zeigt er auf, wie die SVP Andersdenkende ausgrenzt.
Kultur ist gemäss Definition des Europarates das, was mir hilft,
mich in der Welt zurechtzufinden. Schlingensief hilft uns, uns in der
Schweiz zurechtzufinden. Aber das darf er nicht, findet Ursula Haller,
die Thuner SVP-Frau, die schneller redet, als sie denkt: «Nur wenn
Kulturschaffende auf öffentliche Gelder verzichten, können sie
sich so etwas erlauben», sagte sie auf Tele 24. So denkt auch der
Verwaltungsrat des Schauspielhauses: Er distanzierte sich von Schlingensief.
Aus Angst, einen Nachtragskredit für sein Schiffbau-Finanzdebakel
nicht zu erhalten. Aber ein Theater, das vor der Geld gebenden Behörde
kuscht, muss man gleich verbieten. Schlingensief, übernehmen Sie!
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Bänz Friedli, Redaktor im Ressort Kultur
Erstabdruck in FACTS 17/01
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