NAZI~LINE ~ SÜDDEUTSCHE ZEITUNG 24.04.2001
Der Zeitpunkt hätte heikler nicht sein können. Mitten hinein in die Vorbereitungen zu den Festlichkeiten des traditionellen „Sechseläutens“ am gestrigen Montag konfrontierte der deutsche Theaterprovokateur Christoph Schlingensief die Bürger Zürichs damit, dass ihr schönes Land weit mehr mit der jüngsten Geschichte Europas zu tun hat, als es die Schweizer Stimmbürger in ihrer Mehrheit für möglich halten. In der Woche vor dem Frühlingsfest erinnerte Schlingensief sie daran, das der europäische Rechtsextremismus nicht bei Le Pen und Haider Halt macht, sondern auch landeseigene Gestalten annimmt. Er sammelte Unterschriften für ein Verbot der SVP, der Partei des Europagegners und Rechtspopulisten Christoph Blocher. Die SVP sei „eine volksverhetzende Partei“. Neben der in der Zürcher Stadtpolitik zweitstärksten Kraft attackierte Schlingensief auch den Schweizer Eishockey- Meister ZSC. Der Klub liefere „durch seine unentschlossene Haltung gegenüber den Hooligans den Nährboden, auf dem die Rechtsextremisten gedeihen können“.

Das war dann doch zu viel, selbst für die Feiertagsruhe. Die Medien hatten zuvor schon Schlingensiefs „Hamlet“-Projekt (Premiere 10. Mai) am Zürcher Schauspielhaus als „deutschen Ideologiestoßtrupp“ beargwöhnt. An der Tragödie des königlichen Prinzipienreiters aus dem Norden und seinen mörderischen Folgen sollen ausgerechnet deutsche ausstiegswillige Rechtsradikale die Abkehr von ihrem terroristischen Denken und Handeln bewerkstelligen. Die Kommentatoren des liberalen Zürcher Tages-Anzeigers waren unschlüssig, ob der „Humortherapeut aus Oberhausen“ die Verweigerung einer ernsthaften Rezeption verdient oder Ächtung, weil er ungewollt die Sache des Feindes betreibe. Die Front gegen das Schauspielhaus bedient sich merkwürdiger kulturalistischer Argumente. Schlingensiefs Theatralisierung der Öffentlichkeit funktioniere in Städten wie Wien oder Berlin mit ihren ausgeprägten Theatertraditionen, hieß es, aber eben nicht in Zürich.

„Dem Schauspielhaus scheint die politische Sensibilität zu fehlen“, so kritisierte auch Jean-Pierre Hoby, der Kultursachwalter der Stadt Zürich den Schauspielhausintendanten Christoph Marthaler, der es derweilen durchaus „erotisch“ findet, Zürich aufzumischen. Das stört offenbar den Bürgersinn quer durch die politischen Lager. Marthaler, so sehen es seine Gegner, trete der Politik gegenüber als Schuldner und Bittsteller, dem eher Demut und Mäßigung zu verordnen seien. Denn wegen Verteuerungen beim Umbau der Schiffbauhalle, der neuen Spielstätte des Schauspielhauses, braucht Marthaler von der öffentlichen Hand einen Überbrückungskredit von 2,5 Millionen Franken. Die SVP könnte dies beispielsweise über eine Volksabstimmung vereiteln. Statt das derzeit erfolgreichste Theater deutscher Zunge in seiner Position zu stärken, kommt von der Politik der dezente Hinweis, das schlummernde Untier doch bitte nicht zu reizen. Der Verwaltungsrat des Schauspielhauses gab zuletzt mit einer Erklärung klein bei: die Forderung nach dem SVP-Verbot habe keinen „ernsthaften künstlerischen und politischen Anspruch“.

Schlingensief dagegen schüttet Öl ins Feuer. Man solle dem Schauspielhaus die Subvention streichen. „Damit man endlich sieht, was die SVP der Kultur antut.“ Schlingensiefs Theater geht ans Äußerste, damit es nicht zum Äußersten kommt. Demokraten sollten dankbar dafür sein.

UWE MATTHEISS
Der Prinz
Schlingensief ärgert Zürich

(SZ vom 24.04.2001 / Ressort: Feuilleton / Wörter: 513)