Als weitere Aufwärmrunde für Christoph Schlingensiefs
"Hamlet" gabs am Freitag eine kleine Filmnacht im Schiffbau.
Schön obszön.Von Florian Keller "Schlingensief ist, was
er bewirkt", war vor neun Tagen hier zu lesen. Was also hat er bewirkt,
der Christoph Schlingensief? Zum Beispiel, dass ein Anrufer bei Tele Schawinski
die Forderung durchgibt, der ungehörige Theatermann sei subito via
Schnellzug an die Grenze zu schaffen. Hier artikulierte sich der Kern
dessen, was für die Rechte der eigentliche Skandal an Schlingensief
war und ist. Als anstössig empfand man ja nicht, dass ein Theatermann
die SVP eliminiert haben wollte, sondern die Tatsache, dass der Aufruf
zum Verbot einer Schweizer Partei von einem Ausländer kam. Ein deutscher
Regisseur, der sich als städtisch subventionierter Theaterhofnarr
engagieren lässt, soll sich gefälligst nicht als fremder Vogt
aufspielen.
Insofern hätte der Freitagabend mit einem Doppelpack von filmischem
Trash aus Schlingensiefs Vorstrafenregister durchaus der Besänftigung
der Empörten dienen können - und das nicht nur, weil diese Filmnacht
nun nicht in der hochgradig politischen Zone öffentlicher Plätze
stattfand, sondern quasi unter der Glasglocke des Theaters in der ausverkauften
Schiffbauhalle. Vor allen Dingen schien es da nicht wieder um eine deutsche
Intervention auf dem heiligen Terrain der Schweizer Demokratie zu gehen.
Denn wenn Schlingensief "Terror 2000" (1992) und "Die 120
Tage von Bottrop" (1997) vorführt, dann zeigt uns ein deutscher
Regisseur kaputte Bilder von einem kaputten wiedervereinigten Deutschland,
und das ist dann schon in Ordnung. Hat ja nichts mit der Schweiz zu tun,
also stört sich niemand daran.
Viel unanständiger
Dabei sind doch beides ganz obszöne Filme, auf jeden Fall sind sie
viel unanständiger, als was Schlingensief je auf Zürichs Strassen
produziert hat. Udo Kier nuckelt in "Terror 2000" an seiner
Pistole, Asylanten penetrieren die deutsche Mama und bleiben dann in ihr
stecken. Und mitten in diese nazistische Farce tönt ein paradoxer
Notruf, die Parole für einen Aufstand der Unanständigen: "Hilfe,
ich will Krieg!" Wie sich Schlingensief dann verdoppelt in "Die
120 Tage von Bottrop" und wie er also buchstäblich nicht mehr
bei sich ist, erkennt man in ihm plötzlich auch einen deutschen Verwandten
des amerikanischen Komikers Andy Kaufman, wie wir diesen aus Milos Formans
Film "Man on the Moon" kennen. Denn Schlingensief wie Kaufman
sind Komödianten mit einem unbestimmbaren Überschuss an romantischer
Ernsthaftigkeit, und als Personen verschwinden beide hinter der Verunsicherungsmaschine,
die sie selbst sind.
Die naive Frage, die man sich stellen durfte nach diesem Filmabend, lautete
natürlich: War das jetzt eine kleine Werkschau des Regisseurs oder
aber das zweite Kapitel in Schlingensiefs Aufwärmprogramm für
den Zürcher "Hamlet"? Indes, von Aufwärmen kann ja
nicht die Rede sein. Wenn sich die liberalen Kritiker der Sache Schlingensief
zu entledigen versuchten, indem sie den Mann zum Nonsens faselnden Selbstdarsteller
verniedlichten, ist ihnen dann nicht entgangen, dass der "Hamlet"
möglicherweise längst läuft in der Stadt? Schlingensief
ist als Selbstdarsteller in Zürich, um Hamlet zu machen. Müsste
man also nicht konsequenterweise davon ausgehen, dass die Figur Hamlet
das Selbst des Christoph Schlingensief ist, solange der in der Stadt ist?
Und was ist das dann für ein Spiel, in das er uns verwickelt, als
wären wir der morsche Staat Dänemark?
Die Verunsicherung, was denn nun Theater sei und was Politik, hält
an. Man muss sie nur nicht vorschnell zerstreuen wollen.
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