NAZI~LINE ~ SCHLINGENSIEFS WOCHENBERICHTE IN DER FAZ

Bald ist es soweit. Die Neuen Nazis kommen am 2.Mai.

Am 1.Mai wäre das nicht möglich gewesen. Das ist der Tag, an dem die Schweizer Politik vorführt, dass sie die Autonomen noch immer nicht im Griff hat. Der schwarze Block hat aufgefordert das Schauspielhaus zu stürmen, weil dort in den Eigentumswohnungen zu viele Millionäre wohnen. Auch neben meiner Wohnung lebt eine Millionärin. Sie ist sehr füllig, hängt stundenlang über ihrer Brüstung und glotzt in mein Zimmer. Sie hätte alles gelesen, sagt sie, und wäre auch der Meinung, dass ich außer Landes geschafft werden müsse. Die Schweiz sei die Schweiz sei die Schweiz sei die Schweiz. Dann nicke ich immer und versuche ihr den Unterschied zwischen Deutschland, Österreich und der Schweiz zu erklären. Die Deutschen sind beschmutzt und setzen Geld nur noch zum Weißwaschen ein, die Österreicher sind glücklich und sehen keinen direkten Zusammenhang zwischen Ansehen und Geld, und die Schweizer glauben sie könnten grundsätzlich alles durch Geld regeln. Das reicht dann meist, und sie verlässt ihren Hochsitz für dreißig Minuten. Wahrscheinlich ziehe ich auch am 1. Mai ins Ibis-Hotel gegenüber. So wie Irm Hermann, die Darstellerin der Königin im Hamlet, die keine Lust hat wegen irgendwelcher Millionäre verletzt zu werden. Artur Laertes Albrecht hat seinen mitangereisten Kindern den Satz beigebracht: „Resozialisiert keine Nazis, resozialisiert das System.“ Und die Aufkleber mit der Forderung: „SVP verbieten!“ werden fleissig beseitigt. Vor ein paar Tagen wurde ein Plakatkleber in der Innenstadt beim Aufhängen eines Naziline-Plakats mit einer Gaspistole niedergeschossen. Ich zitiere aus einigen Zuschriften:

„Hau ab Du verdammtes stinkiges, ausgefranstes Archloch, Schweinehund, nazigeiles Großmaul, zurück in Dein noch immer von Naziblut verschmiertes Deutschland“. Oder „Sie fordern den Tod von Adolf Hitler. Das zeigt nur wie dumm sie sind. Hitler ist bereits tot!“ Oder „Heil, Herr Schlingensief oder besser Heil Schlingensief! Mit mir können Sie rechnen.“ (Hans Meier, Badenerstraße, Zürich). Oder: “Wenn Ihr nicht verschwindet, dann machen wir bumbum.“  Dann macht ihr eben bumbum... Immer noch besser als dem Resozialisierungsprojekt der Bundesregierung zu applaudieren. Der ORB wollte zum Beispiel eine Dokumentation drehen. Aber unter der Bedingung, dass nur Brandenburger Neonazis mitmachen. Ich möchte an dieser Stelle ganz klar feststellen – und mittlerweile sind, wie ich aus erster Hand weiß,  Artikel auf den Berliner Seiten als Beweismittel vor Gericht zugelassen – „unser“ Hamlet besteht aus 3 Einzelteilen und aus einem leicht verständlichen Überbau: Die Nazis von gestern sind nicht mehr die Nazis von heute. Regieanweisung: „Spielen bis es Göring gefällt!“ Teil 1: Bei allen Aktionen in Zürich, bei Interviews oder sonst wo, spiele ich selber den Hamlet. Freude durch Zögern, weil man dann im Gegensatz zu Otto Schily, nicht an den Verfassungschutz glaubt. Neonazis mit Schmiergeld zu locken, ihnen einen Bart anzukleben und sie mit neuer Telefonnummer in Sindelfingen zu verstecken, ist so bescheuert wie Pädagogenkitsch. Teil 2: Die Bühnenversion untersucht Gründgens, klopft an beim dritten Reich, und natürlich kann ich nicht ausschließen, dass ich in jenen Zeiten ein gutes Theater von schlechten Menschen übernommen hätte. Und trotzdem hätte ich mich in Hanna Arendt verliebt und die Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft untersucht; denn wer A sagt, muß nicht B sagen, auch wenn Hanna das so gerne behauptet hat. Die Liebe zu Heidegger war zu groß, um nicht bei A zu bleiben. Darum musste B herhalten.

Teil 3: Das Theatertreffen. Jetzt auch mit Politclown ! – Nehmt Euch also alle an den Händen und umarmt Euch. Ihr seid wirklich gut! Und das wisst ihr. Ihr wisst wann Resozialisierung anfängt, wann sie aufhört, wieso alles so oder auch so nicht funktionieren kann. Gute Nacht Freunde.

Ab 2. Mai : DIE NAZIS KOMMEN !

Der Rest ist immer schweigen.  

Christoph Schlingensief

 

Erster Bericht zur Hamletinszenierung am Züricher Schauspielhaus:

Hallo liebe FAZ-Leser, hier schreibt nach kurzer Pause Euer lieber Theaterclown Christoph.

Ist es nicht schön zu wissen, dass es immer so bleibt wie es bleibt. Seitdem ich das begriffen habe, geht es mir schon viel besser. Ich habe die Klinik verlassen, rase durch andere Städte und inszeniere voller Geduld und Hingabe den Hamlet. Ein wundervolles Stück, und das meine ich wirklich ernst. Merkwürdig ist nur, dass ich mir das nicht schon füher zugetraut habe. Die Atmosphäre ist freundlich, die Darsteller liebevoll und intelligent. Selbst Peter Kern, der normalerweise nach 2 Probenstunden in die Pause will, sitzt bis zu 5 Stunden geduldig im 600 qm großen Probenraum des zweiten Zürcher Schauspielhauses, der für zig Millionen errichteten neuen Spielstätte, dem Schiffbau. Ich wohne direkt neben Bibiana Beglau, die die Ophelia spielt. An ihrer Türe hängen Fotos, auf denen sie als Callgirl oder als Mieze  aus Rainer Werner Castorfs Inszenierung Zürich Alexanderplatz zu sehen ist.

Neben ihrem Appartement lebt ein unbekannter Schauspieler aus den Meistersingern, der immer das Licht anlässt und daneben die immer wieder über sich hinauswachsende Irm Hermann, die noch immer so aussieht wie im Händler der Vierjahreszeiten und auch fast noch genau so spricht. Und weil Irm die Königin spielt, stelle ich mir vor ich wäre Rainer, eine Hand in der Hose, in der anderen die letzten 4 mm einer filterlosen Zigarette. Draußen schneit es, das Wetter ist eine Katastrophe. Aber tief in unseren Herzen gibt es das, was ich am Theater eigentlich so hasse, nämlich diesen komischen  Willen  zur Familie. Beim Film ist das alles härter und direkter und deshalb noch offensichtlich verlogener als beim Theater. Hier in Zürich erfährt man wirklich was vom Fremdgeruch des anderen, über seinen Musikgenuß, seine Eßgewohnheiten, seine völlig zermatschte Fresse am nächsten Morgen, usw.... Wir fahren dann alle mit dem Aufzug nach unten und gehen direkt in den Probenraum. Also kaum noch Kontakt nach draußen. Alles direkt vor dem Bett. Der Kopf wird weich, die Birne summt genüsslich den Text, der Rhythmus meines Hamlets ist der Rhythmus von Gründgens von 1962. Und dieser Sprachduktus ist ein ständiges Anklopfen, ob man noch mal so sprechen darf wie früher oder ob das nun endgültig vorbei ist. Und folgerichtig klopfe ich an. Ich frage Zürich und die nazifreie Schweiz, ob sie bereit ist für diese Sprache. Ob man die Kapitalflucht mit flüchtenden Naziverfolgten vergleichen darf, oder ob das Theater abgeschottet und mit sich selbst zufrieden Aufzug fährt. Marthaler ist mein Freund, ein Großteil der Fremdinszenierungen an seinem Haus sind gegenstandslose, pseudoaufklärerische Inszenierungen, die teilweise erst vor 4 Jahren geschrieben wurden, aber schon jetzt wie ein Beitrag zur Mengenlehre klingen (Polaroids z.B.). Aber auch das neue Jelinekstück, das letzte Woche Premiere hatte, klingt abgestanden und sagt NEIN zum anklopfenden Reden. Und trotzdem ist das Niveau hier weit über dem eines normalen Stadttheaters und dennoch verklemmter als im Alexanderplatz, obwohl auch das das wohl verklemmteste Castorfstück seit Ewigkeiten war. Imposantes Bühnenbild, imposantes Sitzfleisch. Wie sagt der große Olivenölfabrikant Peter Stein:“ Die Sprache und das Sprechen ist der entscheidende Charakter einer nationalen Identität. Sonst wird ja auch ununterbrochen versucht zu bewahren: Wale sollen nicht aussterben und die Mücken dürfen nicht sterben“, sagt er und verwechselt Theater mit Zoo. Außerdem habe ich den gesamten Faust auf Video mit dem Text verglichen und bin zu dem Schluß gekommen, dass „fast“ jede Silbe  gesprochen wurde, allerdings so falsch in der Betonung und im Rhythmus, das man den Altnazis wirklich empfeelen möchte sich Max Reinhardts: „Über die Schauspieler“ anzuhören und dann mal zu vergleichen. Ich behaupte, dass der, der Monate lang Zeit hat, und dem beim Essen im Feinschmeckerrestaurant nichts Besseres einfällt als Auswendiglernen in die Toscana abtransportiert gehört. Und wer zur Mittelschicht gehört, der darf sich gerne für 3500,- pro Woche mit einquartieren; denn zu seiner Wahlheimat Italien meinte Stein, er könne nicht mehr in Deutschland leben, weil die Herzen der Italiener größer sind. Und genau deshalb könnte ich nicht in der Schweiz leben. Hier sind die Herzen so klein, dass sie in jede schweizer Taschenuhr passen und auf Kommando die Summe aus Leben und Effektivität errechnen können ! Stein geben Sie auf ! Sie haben meinen guten alten Freund Bruno Ganz auf dem Gewissen, dessen Bruder jeden Abend hier unten in der Kantine sitzt und Angst um ihn hat. Stein, sie haben keine Ahnung von Sprachrhytmus, von Musikalität, von Schmerz durch  mangelnde Selbstbewahrung. Sie verwechseln Selbstbewahrung mit Selbstmitleid. Nach Sucht kommt Selbstmitleid. Und deshalb bin ich erstmal süchtig, was man von ihnen nicht mehr sagen kann.  Für Droge Faust und Droge Hamlet gilt: Um zu bewahren bedarf es einer wirklichen Vor-, Haupt- und Nachuntersuchung und die sollte sowohl bei Hamlet, als auch bei Faust musikalisch stattfinden. Da darf der Text auch mal verschwinden oder sich vertauschen, aber wenn er nur geklont präsentiert wird, dann ist er praktisch tot. Soweit mein erster Beitrag zur 11.Nominierung des Theatertreffens. Ich würde gerne öfter schreiben und sie intensiver über naziline.com, über die Ankunft der aussteigewilligen Nazis am 1.Mai, über Sebastian Rudolph als Hamlet, Familie Albrecht und Tragelehns Hamlet Peter Brombacher berichten, aber mittlerweile sind so viele neue junge, engagierte Journalisten zu uns gestoßen, dass wir auch ihnen die Möglichkeit geben müssen, Begriffe wie Enfant terrible, Theaterclown, Theaterberserker, Theaterkrawallo zu schreiben. Oder wurden die Artikel durch Altlastbewahrer mit diesen Begriffen aufgewertet ? Manchmal kommt man einfach nicht mehr aus der eigenen Schublade raus. Da lob ich mir meinen neokonservativen Ansatz. Ich will dem Staate helfen. Denn hier und auch in der Schweiz ist etwas faul.


Christoph Schlingensief